A.  Ausgangslage

Problematik von THC-Werten unter Cannabisgenuss im Straßenverkehr

Die Frage der Fahrtüchtigkeit unter dem Einfluss von Cannabis ist eine komplexe Problematik, die sowohl rechtliche als auch medizinische Aspekte umfasst.

Angesichts der Teillegalisierung von Cannabis seit dem 01.04.2024 in Deutschland steht auch das Bundesgesundheitsministerium vor der Herausforderung, angemessene und wissenschaftlich fundierte Richtlinien für den Konsum von Cannabis durch Verkehrsteilnehmer zu entwickeln.

Fahrtüchtigkeit und Straßenverkehrssicherheit

Jeder Teilnehmer am Straßenverkehr ist verpflichtet, fahrtüchtig zu sein, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Fahrtüchtigkeit impliziert, dass der Fahrer in der Lage sein muss, ein Fahrzeug sicher zu führen, ohne durch Substanzen wie Alkohol, Drogen oder Medikamente beeinträchtigt zu werden.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um auf wissenschaftlicher Grundlage Grenzwerte für Tetrahydrocannabinol (THC) im Blut zu ermitteln. Diese Arbeitsgruppe, bestehend aus Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Recht und Verkehr, wurde im Dezember 2023 eingerichtet und hat ihre Empfehlungen zu einem THC-Grenzwert am 28. März 2024 vorgelegt.

Angleichung an die Alkoholgesetzgebung

Ein weiterer wesentlicher Schritt zur Harmonisierung der rechtlichen Behandlung von Cannabis und Alkohol im Kontext der Fahreignung ist die Anpassung der fahreignungsrechtlichen Regelungen.

Zukünftig wird die Fahrerlaubnis nur dann verweigert oder entzogen, wenn eine Cannabisabhängigkeit oder ein Missbrauch vorliegt.

 Diese Neuregelung zieht eine Parallele zur Behandlung von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit und berücksichtigt die Notwendigkeit, zwischen sicherem Fahrverhalten und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum zu unterscheiden.

Bei erfolgreichem Nachweis der Beendigung einer Cannabisabhängigkeit durch eine Entwöhnungsbehandlung und einem Jahr nachgewiesener Abstinenz ist die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs wieder gegeben.

Ebenso ist nach der Beendigung eines Missbrauchsverhaltens und der Festigung einer Änderung des Konsumverhaltens die Fahreignung zu bejahen.

Regelungen zur Begutachtung

Die rechtlichen Bestimmungen zur Anforderung von Gutachten wurden ebenfalls aktualisiert.

Ein ärztliches Gutachten ist nur noch dann erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte eine Cannabisabhängigkeit nahelegen.

Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ist bei Verdacht auf Cannabismissbrauch, bei wiederholten Verstößen im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis, bei vorherigem Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund von Missbrauch oder zur Klärung der Frage, ob ein Missbrauch oder eine Abhängigkeit nicht mehr vorliegt, vorgesehen.

Eine wichtige Neuerung ist, dass die gelegentliche Einnahme von Cannabis ohne weitere bedenkliche Anhaltspunkte nicht automatisch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach sich zieht.

Besonderheiten bei Medizinalcannabis

Für Verkehrsteilnehmer, die Medizinalcannabis auf ärztliche Verschreibung einnehmen, gelten die oben genannten Regelungen mit bestimmten Einschränkungen.

Ein ärztliches oder medizinisch-psychologisches Gutachten darf nur dann angefordert werden, wenn Anzeichen für einen missbräuchlichen Gebrauch vorliegen oder bei bestimmungsgemäßer Einnahme Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bestehen.

Diese Neuerungen im Umgang mit Cannabis im Straßenverkehr zeugen von einem fortschrittlichen Ansatz, der die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Cannabisgebrauchs anerkennt. Sie stellen einen wichtigen Schritt zur Gewährleistung der Straßenverkehrssicherheit dar, während gleichzeitig die Rechte der Verkehrsteilnehmer, die Cannabis aus medizinischen Gründen oder in moderatem Maße konsumieren, respektiert werden.

B. Empfehlungen zur Festlegung eines THC-Grenzwertes 3,5 ng/ml THC  im Straßenverkehr

Im einzelnen empfiehlt die vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) eingesetzte interdisziplinäre Expertenarbeitsgruppe zur Festlegung eines gesetzlichen Tetrahydrocannabinol (THC)-Grenzwertes im Straßenverkehr am 28.03.2024 nachfolgendes.

 Diese Empfehlungen basieren auf einer umfassenden Analyse und Berücksichtigung verschiedener rechtlicher, medizinischer und verkehrssicherheitsrelevanter Aspekte.

1. Ausgangslage und Auftrag

Die Einrichtung der Arbeitsgruppe folgt dem Auftrag, der mit dem am 23. Februar 2024 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Cannabisgesetz (§ 44 Konsumcannabisgesetz) verbunden ist.

Ziel war es, einen wissenschaftlich fundierten THC-Grenzwert zu ermitteln, bei dessen Überschreitung die Fahrtüchtigkeit im Straßenverkehr regelmäßig nicht mehr gewährleistet ist.

Diese Aufgabe wurde einer Arbeitsgruppe anvertraut, die Experten aus den Bereichen Medizin, Recht, Verkehr sowie Polizei umfasst und die Expertise der Bundesanstalt für Straßenwesen sowie des Vorsitzenden der Grenzwertkommission integriert.

2. Rahmenbedingungen der Beratungen

Die Expertenarbeitsgruppe konzentrierte ihre Beratungen auf den möglichen THC-Grenzwert im Kontext der Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 24a StVG, ohne Aspekte der Fahreignung oder strafrechtliche Vorschriften der §§ 315c und 316 StGB zu berücksichtigen.

Die Diskussion fokussierte sich auf den Freizeitkonsum von Cannabis, während die medizinische Verwendung von THC-haltigen Arzneimitteln außer Acht gelassen wurde.

Zudem wurden verfassungsrechtliche Prinzipien und die aktuelle wissenschaftliche Forschungslage in die Überlegungen einbezogen.

3. Empfehlungen der Arbeitsgruppe

a) Festlegung eines THC-Grenzwertes

Die Arbeitsgruppe schlägt einen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum vor.

Dieser Wert wird als geeignet erachtet, um eine Balance zwischen individuellen Freiheitsrechten und der Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten. Die wissenschaftliche Bewertung legt nahe, dass bei diesem Grenzwert zwar eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung nicht auszuschließen ist, das Risiko aber deutlich unterhalb der Schwelle liegt, bei der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt.

Vergleichbar ist dieser Wert mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,2 Promille.

b) Null-Toleranz-Regelung bei Alkohol am Steuer für Cannabiskonsumenten

Angesichts des erhöhten Risikos durch den Mischkonsum von Alkohol und Cannabis empfiehlt die Arbeitsgruppe, für Cannabiskonsumenten eine Null-Toleranz-Regelung bei Alkohol am Steuer einzuführen. Diese Regelung soll dem § 24c StVG entsprechen und dient der weiteren Erhöhung der Verkehrssicherheit.

c) Einführung von Speicheltests als Vorscreening

Um den aktuellen Cannabis-Konsum effektiv und praxisnah nachweisen zu können, empfiehlt die Arbeitsgruppe die Verwendung von Speicheltests mit hoher Empfindlichkeit. Diese Tests sollen als Vorscreening dienen, um insbesondere den kurzfristigen Konsum zu erfassen und länger zurückliegenden Konsum nicht zu penalisierten. Die Details zur Umsetzung dieses Ansatzes sollen unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen weiter ausgearbeitet werden.

4. Votum des Vorsitzenden der AG VPA

Ein abweichendes Votum kommt vom Beauftragten des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz, der stellvertretend für die Polizeien der Länder und des Bundes eine Erhöhung des Grenzwertes aufgrund der zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit ablehnt.

Stattdessen wird die Beibehaltung des aktuellen analytischen Grenzwerts von 1 ng/ml THC im Blutserum empfohlen.

Die Empfehlungen der Expertenarbeitsgruppe stellen einen bedeutsamen Schritt in der Bewertung von Cannabis im Kontext der Verkehrssicherheit dar und bieten eine Grundlage für die weitere gesetzliche Regelung und Handhabung des Cannabis-Konsums im Straßenverkehr.

Download der Empfehlungen vom 28.03.2024 unter

https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/cannabis-expertengruppe-kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile  – 2 s

https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/cannabis-expertengruppe-langfassung.pdf?__blob=publicationFile  – 12 s