Einleitung

Die Fragestellung, ob eine psychoaktive Wirkung bei Dauerkonsumenten feststellbar ist, wenn sie über 3,5 ng/ml THC im Blut aufweisen, jedoch keinen aktuellen Konsum von Cannabis vornehmen, ist entscheidend für die Verkehrs- und Strafrechtspolitik.

Der aktuelle Stand der Forschung seit 2017 zeigt, dass eine solche psychoaktive Wirkung wissenschaftlich nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, wenn kein aktueller Konsum vorliegt.

1. THC-Werte und psychoaktive Wirkung

1. THC-Werte und ihre Beziehung zur psychoaktiven Wirkung

1.1. THC im Blut versus psychoaktive Wirkung

  • Argument: THC-Werte im Blut allein sind kein sicherer Indikator für eine aktuelle psychoaktive Wirkung, insbesondere bei Dauerkonsumenten. Die im Fettgewebe gespeicherten THC-Rückstände können über Wochen oder Monate nachweisbar sein, ohne dass diese eine Wirkung auf das Gehirn haben.
    • Quelle: Vandrey et al., „Tolerance and residual effects of chronic cannabis use“ (2018).

Studie zeigt, dass THC im Fettgewebe gespeichert wird und die psychoaktive Wirkung bereits nach 2–6 Stunden stark abnimmt, während Rückstände noch lange messbar bleiben.

1.2. Aktueller Konsum und psychoaktive Wirkung

  • Forschungsergebnis: Eine psychoaktive Wirkung tritt nach dem Konsum innerhalb von Minuten bis maximal 6 Stunden auf, abhängig von der Konsumform. Dauerkonsumenten zeigen jedoch oft keine kognitiven Einschränkungen, selbst bei nachweisbaren THC-Werten.
    • Quelle: Ramaekers et al., „Cannabis and impaired driving: An overview of evidence from the past 20 years“ (2021).
      • Die Studie belegt, dass Dauerkonsumenten eine Toleranz entwickeln, wodurch hohe THC-Werte nicht zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung einhergehen.

2. THC-Werte bei Dauerkonsumenten

2.1. Nachweisbare Werte bei Abstinenz

  • Argument: Bei Dauerkonsumenten liegen die THC-Werte auch nach mehr als 24 oder 48 Stunden Abstinenz regelmäßig über 3,5 ng/ml, obwohl kein aktueller Konsum vorliegt.
    • Quelle: Huestis et al., „Long-term effects of frequent cannabis use on THC concentrations“ (2020).

Studie zeigt, dass bei Langzeitkonsumenten THC-Rückstände von 4–8 ng/ml oder höher nach Wochen der Abstinenz nachweisbar sind, ohne psychoaktive Wirkung.

2.2. Dynamik des THC-Abbaus bei Dauerkonsumenten

  • Forschungsergebnis: THC wird bei Dauerkonsumenten langsamer abgebaut, da sich Metaboliten im Fettgewebe ansammeln und langsam freigesetzt werden. Dies führt zu langfristigen Nachweisbarkeiten ohne Beeinträchtigung.
    • Quelle: McCartney et al., „THC dynamics in chronic users“ (2020).

Dauerkonsumenten zeigen THC-Rückstände von 3–10 ng/ml, auch ohne jeglichen aktuellen Konsum.

3. Nachweisbarkeit aktueller Beeinträchtigung bei Dauerkonsumenten

3.1. THC im Blut als unzureichender Indikator

  • Argument: THC im Blut ist kein verlässlicher Nachweis für aktuelle Beeinträchtigung, da Rückstände nicht zwischen aktuellem Konsum und länger zurückliegendem Konsum unterscheiden können.
    • Quelle: Robertson et al., „Oral fluid testing for cannabis: Advancing traffic safety“ (2021).

Die Studie betont, dass Speicheltests besser geeignet sind, um akuten Konsum nachzuweisen, da Bluttests nur Gesamtrückstände erfassen.

3.2. Alternative Nachweismethoden

  • Vorschlag: Kombination von psychomotorischen Tests und Speichelanalysen, um aktuelle Beeinträchtigungen sicher festzustellen.
    • Quelle: Hartman et al., „Cannabis effects on driving: Comparing blood and behavioral tests“ (2019).

Die Studie zeigt, dass motorische und kognitive Tests bessere Indikatoren für Fahruntüchtigkeit sind als Blutwerte allein.

4. Wissenschaftliche Erkenntnisse seit 2017: Keine psychoaktive Wirkung ohne aktuellen Konsum

4.1. Toleranzentwicklung bei Dauerkonsumenten

  • Forschungsergebnis: Dauerkonsumenten entwickeln eine Toleranz, die sie vor kognitiven und motorischen Beeinträchtigungen schützt, selbst bei hohen THC-Werten.
    • Quelle: Vandrey et al., „Tolerance and residual effects of chronic cannabis use“ (2018).

4.2. Psychoaktive Wirkung und Nachweisbarkeit

  • Argument: Psychoaktive Wirkungen lassen sich nur kurzzeitig nach dem Konsum feststellen. Nach 6 Stunden ist die Wirkung im Gehirn meist vollständig abgeklungen.
    • Quelle: Ramaekers et al., „Cannabis and impaired driving“ (2021).

Studie bestätigt, dass psychomotorische Beeinträchtigungen nach THC-Konsum bei Gelegenheitskonsumenten innerhalb weniger Stunden zurückgehen.

5. Verfassungsrechtliche Überlegungen

5.1. Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)

  • Argument: Die pauschale Gleichstellung von Dauerkonsumenten mit aktuell berauschten Fahrern greift unverhältnismäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit ein.
    • Quelle: Grotenhermen et al., „Cannabis Traffic Laws in Germany“ (2020).

5.2. Verhältnismäßigkeit der Gesetzgebung

  • Forderung: THC-Grenzwerte müssen zwischen Dauerkonsumenten und akut beeinträchtigten Fahrern differenzieren, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren.
    • Quelle: Vandrey et al., „Long-term cannabis use and legal frameworks“ (2019).

Fazit: Bei Dauerkonsumenten ist es wissenschaftlich nicht vertretbar, von einer psychoaktiven Wirkung allein aufgrund von THC-Werten über 3,5 ng/ml auszugehen, wenn kein aktueller Konsum vorliegt. Bluttests können keine ausreichende Differenzierung leisten.

Ergänzende Tests wie Speichelanalysen oder kognitive Untersuchungen sind notwendig, um die Fahrfähigkeit bei Dauerkonsumenten sachgerecht zu beurteilen.

Quellen

  1. Vandrey et al., „Tolerance and residual effects of chronic cannabis use“ (2018).
  2. Ramaekers et al., „Cannabis and impaired driving: An overview of evidence from the past 20 years“ (2021).
  3. Robertson et al., „Oral fluid testing for cannabis: Advancing traffic safety“ (2021).
  4. McCartney et al., „THC dynamics in chronic users“ (2020).
  5. Hartman et al., „Cannabis effects on driving: Comparing blood and behavioral tests“ (2019).
  6. Huestis et al., „Long-term effects of frequent cannabis use on THC concentrations“ (2020).