BGH Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24
24.04.24 bs: Das Landgericht Ulm hatte die Angeklagten A. und M. wegen Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Marihuanaplantage nach der bisher geltenden Rechtslage jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil im Verfahren über die Revisionen der beiden Angeklagten entsprechend den zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Bestimmungen des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) im Schuldspruch jeweils neu gefasst.
Zudem hat er den Grenzwert der nicht geringen Menge i.S. von § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG auf 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) festgesetzt.
Infolge des gegenüber der bisherigen Rechtslage niedrigeren Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil im Strafausspruch aufgehoben und insoweit zur erneuten Strafbemessung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
A. Feststellungen des Landgerichts
Tatzeitraum und Tätigkeit der Angeklagten
- Die Angeklagten A. und M. waren zumindest vom 24. März 2023 bis zu ihrer Festnahme am 24. Mai 2023 als „Gärtner“ in einer Indoor-Marihuanaplantage tätig.
- Sie arbeiteten in einer von einer überregionalen Bandenorganisation seit 2021 betriebenen Plantage, die in einer für diesen Zweck angemieteten ehemaligen Industrieimmobilie eingerichtet war.
Manipulation und Umfang der Plantage
- Die Plantage umfasste zwei Stockwerke einer ehemaligen Industrieimmobilie.
- An den Stromzählern wurde manipuliert, indem zwei von drei Phasen der Mittelspannungsstromleitung abgetrennt wurden, was dazu führte, dass der Großteil des Stromverbrauchs (durch Lampen, Lüfter und andere Geräte) nicht erfasst wurde.
Aufgaben und Vergütung der Angeklagten
- Beide Angeklagten waren für die manuelle Bewässerung der Pflanzen, die Versorgung mit Dünger, den Betrieb der Lüftungsanlage und der Wärmelampen zuständig, basierend auf Anweisungen der Hintermänner.
- Sie erhielten für ihre Tätigkeiten ein Monatsgehalt von 1.000 € sowie freie Kost und Logis.
- Zusätzlich ermöglichten sie über ein Rolltor die Ein- und Ausfahrt für dritte Personen und Fahrzeuge zur Plantage.
Fund bei der Durchsuchung
- Bei einer Durchsuchung am 24. Mai 2023 wurden insgesamt 1.763 Cannabispflanzen gefunden.
- Diese Pflanzen enthielten mindestens 160 kg Marihuana und eine Gesamtmenge von 22.105 g Tetrahydrocannabinol (THC).
- Der Wirkstoffgehalt des aufgefundenen Marihuanas variierte zwischen den Stockwerken, mit einem durchschnittlichen Gehalt von mindestens 13,81 Prozent THC im Untergeschoss und 12,68 Prozent THC im Obergeschoss.
Zweck der Plantage
- Es war bekannt, dass das produzierte Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.
II. Revision und Neufassung des Urteils
Erfolg der Revision
- Die Revisionen der Angeklagten, die sich gegen die Verletzung materiellen Rechts richteten, hatten hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.
- Die Feststellung zur Schuld der Angeklagten musste aufgrund der Revision und des neuen Cannabisgesetzes, das am 27. März 2024 in Kraft trat, neu gefasst werden.
Rechtliche Änderungen durch das Cannabisgesetz
- Das Urteil wurde im Strafausspruch aufgehoben und musste aufgrund der Änderungen durch das Cannabisgesetz, das den kontrollierten Umgang mit Cannabis neu regelt, neu formuliert werden.
B. Begründung des 1. Strafsenats beim Bundesgerichtshof
I. Anpassung des Schuldspruchs an das neue Cannabisgesetz
- Rechtlicher Rahmen: Der Schuldspruch wurde auf Grundlage des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Cannabisgesetzes (KCanG) überprüft, welches gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle maßgeblich ist.
- Tatbestandsmerkmale: Nach den Feststellungen des Landgerichts betraf das Tatgeschehen den Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen und die Beihilfe zum Handel mit Cannabis. Diese Tatbestände sind unter den §§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG sowie § 34 Abs. 1 KCanG strafbar.
- Anlehnung an bisherige Rechtsprechung: Der Gesetzgeber hat die Formulierungen und Tathandlungen im KCanG explizit an das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und die dazu ergangene Rechtsprechung angelehnt, was eine Übertragung der entwickelten Grundsätze zu diesen Handlungsformen auf das KCanG ermöglicht.
- Konkurrenzrechtliche Bewertung: Die Bewertung der Tatbestände im Vergleich zu früheren Regelungen bleibt unverändert, sodass der Schuldspruch entsprechend den neuen rechtlichen Bestimmungen angepasst wurde.
II. Neubemessung des Strafmaßes
- Änderung des Strafrahmens: Durch das KCanG hat sich der Strafrahmen im Vergleich zu dem des BtMG erheblich zu Gunsten der Angeklagten verändert. Dies erfordert eine Neubemessung der Strafe.
- Regelbeispiel der nicht geringen Menge:
- Grenzwert: Der Grenzwert für die nicht geringe Menge von Tetrahydrocannabinol (THC) ist nach § 1 Nr. 2 KCanG und § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG auf 7,5 g festgelegt.
- Rechtsprechungspraxis: Der Bundesgerichtshof folgt der ständigen Rechtsprechung, die die Wirkstoffmenge als maßgeblich für die Bestimmung der nicht geringen Menge ansieht. Hierbei wird von einer gewissen Menge des Wirkstoffs ausgegangen, die einen Rauschzustand erzeugen kann, multipliziert mit einer Anzahl an Konsumeinheiten, die sich nach der Gefährlichkeit des Stoffes richtet.
- Berücksichtigung des Gefährlichkeitsgrades:
- Vergleich mit anderen Substanzen: Die Festlegung des Grenzwertes berücksichtigt die relative Gefährlichkeit von THC im Vergleich zu anderen Drogen wie Heroin.
- Grundlagen der Grenzwertfestlegung: Die Festlegung basiert auf sachverständigen Bewertungen und berücksichtigt die Dosis, die typischerweise erforderlich ist, um einen Rauschzustand zu erreichen.
- Konsequenzen der Neubewertung:
- Die Feststellungen des Landgerichts bestätigen das Vorliegen einer nicht geringen Menge gemäß den neuen rechtlichen Vorgaben.
- Aufgrund der signifikanten Änderung im Strafrahmen und der unveränderten Bewertung der Wirkungsweise und Gefährlichkeit von THC bleibt die Bestimmung der nicht geringen Menge relevant und führt zu einer Neuausrichtung der Strafzumessung.
III. Kein Anlass für eine Erhöhung des Grenzwerts der nicht geringen Menge nach KCanG
Insbesondere argumentiert der 1. Strafsenat auch, dass die Einführung des Cannabisgesetzes nicht zu einer Erhöhung des Grenzwerts der nicht geringen Menge führen sollte, da weder der Gesetzestext, die Zielsetzung des Gesetzes noch die Gesetzessystematik eine solche Änderung unterstützen.
Die Beibehaltung des Grenzwerts von 7,5 g THC beruht auf einer kontinuierlichen und konsistenten rechtlichen sowie wissenschaftlichen Bewertung der Substanz, die die potenziellen gesundheitlichen Risiken und die Schädlichkeit von Cannabis reflektiert.
- Gesetzeswortlaut und -interpretation
- Unbestimmter Rechtsbegriff: Der Gesetzgeber hat in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG bewusst einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet, dessen konkrete Ausfüllung der Rechtsprechung überlassen wird, ohne dabei Anhaltspunkte für eine Erhöhung des Grenzwerts zu geben.
- Sinn und Zweck der Vorschrift
- Schutz der Volksgesundheit: Die Einführung der Strafvorschriften in § 34 KCanG dient dem Schutz der Volksgesundheit und der körperlichen Unversehrtheit, indem sie darauf abzielen, den Verkehr mit Cannabis, besonders außerhalb legaler Ausnahmen, einzuschränken und insbesondere junge Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen.
- Gesetzliche Zielsetzung: Die Präambel des Cannabisgesetzes und die Gesetzesbegründung betonen die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums und die Notwendigkeit, diesen zu minimieren. Die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis dient als Mittel zur Zurückdrängung des Konsums.
- Gesetzessystematik
- Verbleibendes allgemeines Verbot: Trotz der Legalisierung bestimmter Mengen und Handlungen bleibt der Umgang mit Cannabis überwiegend verboten. Dies wird durch die Systematik des Gesetzes unterstrichen, in der nur bestimmte Handlungen explizit vom Verbot ausgenommen sind.
- Keine neuen Bewertungsmaßstäbe: Die Legalisierung bestimmter Mengen für den Eigenkonsum führt nicht zu einer Neubewertung der Gefährlichkeit des Wirkstoffs. Die strafrechtlichen Regelungen, einschließlich der Grenzwertbestimmung für die nicht geringe Menge, bleiben von diesen Regelungen unberührt.
- Keine Änderung durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes
- Keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse: In der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sind keine konkreten neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse angeführt, die eine höhere Grenzwertfestsetzung rechtfertigen würden.
- Beibehaltung der Risikobewertung: Der Gesetzgeber bezieht sich auf die bestehenden Maßstäbe der Rechtsprechung zur Bestimmung der nicht geringen Menge, basierend auf der Wirkungsweise und -intensität des THC. Trotz der Erwähnung einer „geänderten Risikobewertung“ fehlen substantiierte Informationen, die eine Änderung der Grenzwerte stützen könnten.
Insgesamt argumentiert der 1. Strafsenat, dass die Einführung des Cannabisgesetzes nicht zu einer Erhöhung des Grenzwerts der nicht geringen Menge führen sollte, da weder der Gesetzestext, die Zielsetzung des Gesetzes noch die Gesetzessystematik eine solche Änderung unterstützen.
Die Beibehaltung des Grenzwerts von 7,5 g THC beruht auf einer kontinuierlichen und konsistenten rechtlichen sowie wissenschaftlichen Bewertung der Substanz, die die potenziellen gesundheitlichen Risiken und die Schädlichkeit von Cannabis reflektiert.